
„Zum Coming-Out gehören zwei Seiten“
Albert Kehrer ist einer der beiden Vorsitzender von PROUT AT WORK. Die gemeinnützige Stiftung macht sich stark für Offenheit und Chancengleichheit in der Arbeitswelt für alle Menschen unabhängig ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichem Ausdruck. Kehrer, selbst ehemaliger Manager, begleitet mit PROUT AT WORK Unternehmen und Organisationen bei der Schaffung einer offenen und wertschätzenden Unternehmenskultur frei von Homo- und Transphobie. Boehringer Ingelheim unterstützt die Ziele von PROUT AT WORK und ist Mitglied der PROUTEMPLOYER-Kooperation. Im Interview mit Jan Pfaff spricht Kehrer über den Umgang mit dem Thema LGBTIQ (Lesbisch, Schwul, Bi, Trans, Inter, Queer) in der Arbeitswelt.
Herr Kehrer, wieso ist es wichtig, sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität im Unternehmen zu thematisieren?
Für viele Menschen ist es eine völlig normale Sache, ihre geschlechtliche Orientierung am Arbeitsplatz auszudrücken. Sie können ganz ungehindert über ihren Lebenspartner oder ihre Lebenspartnerin sprechen. Diese Freiheit sollte sich ganz natürlich auf alle Mitarbeitenden erstrecken. Auch homo- und bisexuelle Menschen sollten ihre Orientierung ungehindert äußern können. Es ist wichtig, die Leute am Arbeitsplatz so sein zu lassen, wie sie sind.
Bietet diese Wertschätzung gegenüber der LGBTIQ-Gemeinschaft einem Unternehmen Vorteile?
Ja, in vielerlei Hinsicht. Wertschätzung gegenüber der LGBTIQ-Gemeinschaft ist ein Gradmesser für eine offene Unternehmenskultur. Das ist aber nicht bloß uneigennützig zu verstehen. Ihr offen zu begegnen bedeutet für ein Unternehmen nämlich auch, dass es bei der Besetzung von Arbeitsplätzen auf einen viel größeren Talentpool zugreifen kann.
Nicht zuletzt: Durch eine wertschätzende Kultur eröffnen sich einem Unternehmen auch neue Kunden und Märkte. Als Dienstleister, beispielsweise, kann man so ein attraktiverer Lieferant werden.
Welche Verantwortung liegt bei den Führungskräften?
Die Pflich der Führungskräfte ist es, die Menschen an ihrer Leistung für das Unternehmen zu messen, nicht an ihrem Aussehen, ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität. Das bedeutet, dass jegliche Diskriminierung klar abgelehnt werden muss. Die Führungskräfte eines Unternehmens müssen sich klar zu ihren Talenten bekennen und auch zu diesem Thema ihre unbewussten Denkmuster hinterfragen.
Wie muss eine Thematisierung im Unternehmen geschehen, damit keine neuen Vorbehalte entstehen?
Es ist wichtig, dass von Seiten des Top Managements eines Unternehmens ein klares Commitment zur Unterstützung der LGBTIQ-Mitarbeitenden gibt. Alle Diversity-Dimensionen müssen klar beim Namen genannt werden und die Themen sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität müssen von der Unternehmensleitung auch klar als wichtig erkannt werden. Wahrscheinlich können nicht alle Menschen von der Bedeutung des Themas für ein Unternehmen überzeugt werden und wird immer Widerstände geben. Entscheidend ist aber ein natürlicher Umgang damit. Es geht nicht um eine Besserstellung für LGBTIQ-Mitarbeitende am Arbeitsplatz, sondern einfach um Chancengleichheit.
Wie kann sichergestellt werden, dass dieses Bekenntnis im Unternehmen verankert wird?
Es reicht nicht, wenn ein Unternehmen ein Netzwerk einmalig fördert, es geht um eine kontinuierliche Zusammenarbeit und Unterstützung. Das LGBTIQ-Thema muss regelmäßig vom Top Management erwähnt werden und auf der Agenda auftauchen, damit klar ist, dass sich das Unternehmen zu seinen LGBTIQ-Mitarbeitenden bekennt. Es muss aber auch eine regelmäßige Prüfung stattfinden, wie sich das Thema im Unternehmen entwickelt, ähnlich wie es auch bei anderen Diversity & Inclusion Themen der Fall ist, beispielsweise bei Gender, oder ethnischem Hintergrund. Nachhaltigkeit ist demnach das Schlüsselwort. Eine Kulturveränderung zeigt sich nur dann, wenn sich das Thema langfristig in der Firma hält und auch authentisch vermittelt wird.
Es gibt bisher sehr wenige sichtbare Führungskräfte aus der LGBTIQ-Gemeinschaft in Deutschland. Warum ist das Ihrer Ansicht nach so?
Das Coming-Out ist immer eine Sache von zwei Seiten: Man muss sich trauen, aber man muss sich auch trauen können. Die Unternehmenskultur ist in unserer Gesellschaft nach wie vor häufig geprägt durch den Steckbrief „männlich, weiß, Mitte 40.“ Das ist kein Umfeld, das einem Coming-Out sehr offen gegenübersteht. Für ein Unternehmen gilt es, sich zu fragen, was es tun kann, damit eine Unternehmenskultur entsteht, in der sich alle outen können.
Welche positiven Beispiele kennen Sie dafür, dass ein Firmen-LGBTIQ-Netzwerk konkret zum Unternehmenserfolg beigetragen hat?
Ein solches Netzwerk kann zur Veränderung der Kultur eines Unternehmens beitragen und etwa die Awareness durch Workshops vergrößern. Wir haben Mitgliedsunternehmen, die erfolgreiche Marketing-Aktivitäten umgesetzt haben. So hatte beispielsweise ein Mitgliedsunternehmen aus der Finanzbranche eine Marketingkampagne in der schwul-lesbischen Presse von Köln und Berlin betrieben. Anschließend konnte die Bank einen deutlich größeren Kundengewinn verbuchen, als mit herkömmlichem Marketing.
Wie sieht der Idealzustand für die LGBTIQ-Community in der Arbeitswelt aus?
Im Idealfall können alle ihre Partnerinnen oder Partner wählen und so sein, wie sie sind, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, geschlechtlicher Identität oder Ausdruck. Die Unternehmen bekennen sich extern und öffentlich zum Thema LGBTIQ und es findet eine regelmäßige Thematisierung über den wertschätzenden Umgang mit Vielfalt statt. Heute noch wollen manche das Thema beiseitelegen, denn in ihren Augen „sei ja rechtlich alles OK“. Es muss aber über dieses Thema genauso gesprochen werden können wie über die anderen Diversity-Themen.
Welche Tipps haben Sie für Boehringer Ingelheim?
Am erfolgreichsten sind Unternehmen mit dem Thema, wenn es ein Sponsoring durch ein Mitglied im Vorstand bzw. der Geschäftsleitung gibt. Diese Führungskraft – meist selber nicht les-bi-schwul oder trans – interessiert sich für das LGBTIQ-Thema und vertritt die Sache öffentlich nach innen und nach außen. In vielen Unternehmen stellt die Unterstützung seitens der obersten Führungsschichten einen Wendepunkt in der Unternehmenskultur dar, was den Umgang mit LGBTIQ-Mitarbeitenden angeht.
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