
Die Bio-Assayistin
Krebszellen den Garaus machen - davon träumen viele Wissenschaftler. Dr. Caterina Giorno macht genau das, jeden Tag. Die studierte Biologin arbeitet als Laborleiterin im Biberacher Potency Assay Skill Center. Dieser relativ neue Bereich gehört zur Analytischen Entwicklung in der Qualitätseinheit der Innovation Unit. Ihr Job: prüfen, ob die biotechnisch hergestellten Proteine das tun, was sie sollen – zum Beispiel Krebszellen vernichten. Ein Gastbeitrag von Jutta Cook.
Ganz im Westen des Biberacher Werkes liegt das Zuhause des neuen Potency Assay Skill Centers. In den früheren Räumlichkeiten der nichtklinischen Arzneimittelsicherheit finde ich moderne Labore, in denen Dr. Caterina Giorno Wirkstoffe und Zellen untersucht. Das Gebäude ist zugangsbeschränkt; ins Reich der Sicherheitslabore geht es nur mit Begleitung.
In der Welt der biopharmazeutischen Herstellung gibt es viele komplexe Technologien. Die lebenden Zellen, mit denen die Kolleginnen und Kollegen arbeiten, sind winzig klein und sehr empfindlich. „In der Theorie sind viele Arbeitsschritte einfach zu erklären; sie technisch umzusetzen, ist eine ganz andere Sache“, erklärt Dr. Caterina Giorno. Das gilt auch für Bioassays. Der Fachbegriff ist eine Verkürzung des englischen Begriffs „biological assay“, oder deutsch: biologische Untersuchung. Dahinter verbergen sich Untersuchungen der Wirkung, die bestimmte Wirkstoffe auf lebende Organismen haben. Bioassays sind standardisierte Tests, mit denen Substanzen in einer Probe nachgewiesen werden oder beispielsweise die Potenz von Arzneimitteln an lebenden Zellen gemessen wird.
Alles drin – alles dran?
Und das ist auch eine der Hauptaufgaben des Potency Assay Skill Centers. Die rund 45 Mitarbeitenden überprüfen für jede Charge aus der biopharmazeutischen Produktion, ob die Zellen in den Fermentern die richtigen Proteine mit der richtigen Wirkung hergestellt haben. „Die ‚Fabriken‘ für unsere Wirkstoffe sind lebende Zellen. Sie verhalten sich nicht immer gleich, die biologischen Prozesse haben einfach eine gewisse Variabilität“, erklärt Dr. Giorno.
Deshalb sind die Spezialisten auch gefragt, wenn es um die Entwicklung der Testmethoden, den sogenannten Bioassays geht. „Jedes unserer biopharmazeutischen Produkte hat einen spezifischen Wirkmechanismus, und dafür muss auch immer ein passender Bioassay entwickelt werden. Für jeden Bioassay benötigt man spezifische Zellen, die im Potency Assay Skill Center für die Durchführung der Bioassays kultiviert werden“, erklärt die Laborleiterin.
In diesem Bereich wurde Caterina Giorno auch promoviert: In einer Kooperation zwischen Boehringer Ingelheim und der Universität Konstanz hat sie untersucht, ob sich die Wirkweise eines Antikörpers gegen Krebszellen verändert, wenn am Molekül bestimmte Zuckerketten fehlen oder hinzugefügt werden. Dazu musste sie sich einer anderen, für das Unternehmen eher ungewöhnlichen „Fabrik“ bedienen und mit Moos-Zellen arbeiten. Diese können das untersuchte Protein herstellen, ohne spezielle Zuckerketten anzuhängen. Zu ihrer Aufgabe gehörte auch, die passenden Bioassays dazu zu entwickeln.
„Insgesamt haben wir hier im Bioassay Skill Center 53 verschiedene Assays entwickelt. Über 30 davon nutzen wir aktiv, während wir schon wieder weiterdenken und die nächsten fünf bis zehn Methoden in Arbeit haben“, sagt die 37-Jährige.
Gift für Krebszellen
Und jetzt kommen die Krebszellen wieder ins Spiel: Die soll der zu prüfende Wirkstoff gezielt zerstören – mit Hilfe zum Beispiel von ADCC, kurz für Antibody Dependent Cellular Cytotoxicity. „Wir benutzen manchmal wirkliche Zungenbrecher“, schmunzelt sie und übersetzt: „Antikörper-abhängige zelluläre Zytotoxizität“. Während ich noch über die deutschen Vokabeln stolpere, erklärt sie das Wirkprinzip: „Antikörper sehen aus wie ein Ypsilon. Die beiden oberen Arme docken an der Krebszelle an, das untere Ende verbindet sich mit der Oberfläche einer körpereigenen Killerzelle. Damit bringt der Antikörper die beiden Zellen ganz nah zueinander. Diese unmittelbare Nähe ist nötig, damit die Zellgiftgranulate der Killerzelle ihr Ziel treffen: Die Enzyme dringen in die Krebszelle ein, lösen die Zellwand auf und machen dieser Krebszelle damit den Garaus.“
Diese Wirkweise und auch ihre Stärke lässt sich mit einem ihrer Bioassays untersuchen: Kultivierte Krebszellen werden mit Killerzellen und dem Antikörper zusammengebracht. Dann wird untersucht, wie viele der unerwünschten Zellen vernichtet worden sind. „Mit diesem Verfahren spiegeln wir den sogenannten ‚Mode of Action‘, also den Wirkmechanismus, wieder. Innerhalb der technischen Entwicklung von biopharmazeutisch hergestellten Molekülen ist der Bioassay der einzige Test, der die Wirkmechanismen direkt an lebenden Zellen nachweisen kann“, erklärt die Biologin.
Das Potency Assay Skill Center analysiert nicht nur Wirkstoffe aus Biberach. Das Team ist global vernetzt; auch Proben aus Wien oder Shanghai werden hier analysiert. „Auch Kollginnen und Kollegen in Fremont und Ingelheim unterstützen wir von hier aus, zum Beispiel mit Bioassays für unsere Biosimilar-Projekte“, sagt Dr. Giorno. „Das ist ziemlich spannend, weil man mit vielen Menschen aus aller Welt zu tun hat, die oft einen anderen Blick auf die Prozesse haben.“
Detektivarbeit
Weil die biologischen „Fabriken“ in ihren Prozessen manchmal variieren, ist das Potency Assay Skill Center auch gefragt, wenn es um Fehlersuche und Problemlösung geht. Dann macht sich Dr. Giorno und ihr Team daran, herauszufinden, woher die Abweichung kommt. „Es gibt sehr viele Stellschrauben, die einen Einfluss auf die biologische Aktivität der Antikörper haben. Kleine Veränderungen in Temperatur oder pH-Wert bei der Fermentation können dazu führen, dass die gebildeten Proteine ein klein wenig anders aussehen. Und das kann vor allem ihre Wirkstärke stark beeinflussen“, erklärt sie.
Diese Prozesscharakterisierung gehört auch zu den Aufgaben des Potency Assay Skill Centers. „Wir bündeln im Potency Assay Skill Center die Expertise der komplexen Testverfahren in verschiedenen Laborgruppen und profitieren von der gemeinschaftlich genutzten Labor-Infrastruktur in einem Gebäude “, erläutert Dr. Giorno die Vorteile. Die Labore bieten allen Geschäftsfeldern maßgeschneiderte Dienstleitungen an und unterstützen dabei als Shared Service Einheit auch das Auftragskundengeschäft aus der Innovation Unit heraus.
Diese Vielfalt in den Aufgaben liebt Caterina Giorno an ihrem Job. „Ich darf neue Methoden entwickeln, bestehende verbessern und wie ein Detektiv nach Lösungen suchen, wenn mal etwas nicht so läuft, wie wir uns das vorstellen. Diese Abwechslung macht meine Arbeit echt spannend“, strahlt sie. Ihr Traum: „Ein Medikament von der frühen Phase bis zum Patienten begleiten, und sehen, dass ich dazu beitragen kann, dass es ihm besser geht.“
Und wenn sie mal nicht im Labor steht? „Dann hält mich mein kleiner Sohn auf Trab“, lacht sie. „Ich bin leidenschaftlich gerne Mutter, und ich liebe meinen Beruf.“ Dazwischen setzt sie feste Grenzen: Wenn es Zeit ist, den Vierjährigen aus dem Kindergarten zu holen, ist Feierabend.
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