
Das Logo und die Kaiserpfalz
Der Wiedererkennungswert eines Firmenlogos beim Geschäftspartner oder Kunden ist von hoher Bedeutung. Kein Wunder also, wenn Modifizierungen oder gar Neuerungen wohl bedacht sein wollen. In seiner mehr als 130 Jahre langen Geschichte hat das Unternehmen Boehringer Ingelheim insgesamt auch nur vier verschiedene solcher Bild-Wortmarken verwendet; es gibt zusätzlich einige Variationen, die aber keine eigenständigen Signets waren und das Gesamtbild deshalb nicht beeinträchtigen. Ein Gastbeitrag von Dr. Michael Siebler.
Das erste eigene Warenzeichen ließ der Firmengründer Albert Boehringer (1861 – 1939) zum 1. September 1893 eintragen. Es war ein Oval, dessen Zentrum ein Monogramm aus den Buchstaben CHBS bildete und das vom Firmennamen „C. H. Boehringer Sohn“ (Christoph Heinrich Boehringer Sohn = Albert Boehringer) umfasst war; unter diesem Namen firmierte die 1885 als „Albert Boehringer, Chemische Fabrik“ gegründete Unternehmung seit dem 1. Januar 1893. Mit diesem Logo wollte der junge Firmeninhaber eine direkte Verbindung zum erfolgreichen Unternehmen seiner Familie C. F. Boehringer & Söhne in Mannheim assoziieren. Kein Wunder also, wenn der junge Fabrikant in Ingelheim nicht nur mit der offensichtlichen Angleichung seines neuen Firmennamens an den des väterlichen Unternehmens erinnern wollte, sondern diese zum Verwechseln ähnliche Bezeichnung auch noch mit der Form (Oval) und Gestaltung (Monogramm CFB&S) des Mannheimer Logos verband.
Mit der Produktion von Milchsäure in industriellem Maßstab begann 1895 der wirtschaftliche Aufstieg des Unternehmens CHBS. Auf diesem Gebiet musste Albert Boehringer keine Konkurrenz fürchten, schon gar nicht aus Mannheim. Ob dieser Erfolg dazu beigetragen hat, ein neues Firmenlogo zu installieren – gleichsam als Emanzipation von früheren familiären Bindungen zum väterlichen Unternehmen – oder der Beginn einer Alkaloid-Produktion in nennenswertem Umfang, muss dahingestellt bleiben.
Vielfach bekannt und bis Mitte der zwanziger Jahre verwendet, zeigte das neue Logo in seiner Mitte eine Phantasie-Darstellung der Kaiserpfalz Ingelheim, die durch schriftliche Nennung eindeutig bezeichnet war. Im umfassenden Kreis war zu lesen: „C.H.B.S.“ oder häufiger: „C.H.B.S. Ingelheim“. Mit der Darstellung der Kaiserpfalz im neuen Signet hatte sich Albert Boehringer für das Bauwerk entschieden, das Bekanntheit und Ruhm dieses Ortes ausmachte, damals wie heute.
Die Verwendung der „Kaiserpfalz“ als historisch-wuchtvolles Bildmotiv für das Logo leuchtet unmittelbar ein. Grund genug also, dieses Motiv zu wählen. Aber es könnte auch noch einen weiteren Grund geben, der die Entscheidung Albert Boehringers beförderte. Just in die Jahre, die laut unserer Quellen für die Einführung des „Kaiserpfalz“-Logos relevant sind, fällt nämlich der Beginn der modernen archäologischen Erforschung der Anlage.
Der Kunsthistoriker und Ingelheimer Ehrenbürger Christian Rauch (1877–1976) begann 1909 mit Grabungen im Pfalzgebiet, die aber mit Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 beendet werden mussten. Auch wenn die Grabungen in diesen Jahren nur insgesamt sieben Monate dauerten, so konnte Rauch offenbar dennoch ein „unerwartet klares Bild von der Bauanlage der karolingischen Pfalz“ gewinnen.
Es bedarf keiner großen Phantasie für die Annahme, dass Albert Boehringer über die archäologischen Untersuchungen vor der Haustür seiner Firma unterrichtet war. Er wird sich wohl auch dafür interessiert haben. Schließlich gehörte er 1905 zu den Gründungsmitgliedern des Historischen Vereins Ingelheim. Denkbar auch, dass er das eine oder andere Mal die Ausgräber vor Ort auch besuchte. Christian Rauch mag sich dann als Führer und Erklärer der Befunde angeboten oder auch bei einer Einladung in die Gründervilla, dem Wohnhaus der Familie Albert Boehringer, berichtet haben. Wohl möglich also, dass die Spuren einstiger mittelalterlicher Monumentalarchitektur unter der geschichtsträchtigen Erde Ingelheims die Wahl des neuen Firmenlogos beförderten.
Wenn beim ersten „Kaiserpfalz“-Logo eine Verbindung zu den archäologischen Forschungen im Pfalzgebiet noch nicht sicher zu belegen ist, so ändert sich dies mit dem darauffolgenden vollständig. Hier kann es keinen Zweifel mehr an der Verbindung von Logo und den Forschungen von Rauch geben. Die Phantasiedarstellung der Kaiserpfalz ist der graphischen Darstellung eines turmartigen Bauwerks mit spitzem Dach und zwei flankierenden architektonischen Strukturen gewichen.
Das Firmenlogo mit dem Kürzel für das Wahrzeichen Ingelheims wurde bis 1997 verwendet. Abgelöst wurde es von einer weiteren Variation, die bis heute gültig ist. So betrachtet, bewahrt das Logo von Boehringer Ingelheim die Erinnerung an eine wichtige, aber nicht mehr sichtbare Architektur aus der ersten großen Blütezeit der Kaiserpfalz in Ingelheim.
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